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�ber die Typodiversit�t

Darfs ein bisschen mehr sein?

Über die Typodiversität

Bilder sind Mist, Legenden weglassen, auf Buchstaben und Zeichen verzichten. Ist doch alles nicht unbedingt nötig. Eine Lanze dem Minimalismus.

RALF TURTSCHI Neulich schrieb sich ein Chefredaktor – nennen wir ihn hier Dipl.-Ing. – einer hier nicht genannten Druckfachzeitschrift die Seele vom Leib. Auf Bilder könne gut verzichtet werden, das Wissen werde durch Text gespeichert und übermittelt. Bilder seien mehrdeutig, Worte hingegen seien klar und präzise. Das hatten wir doch schon einmal in der Zeit der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, wo man das Denken durch Vernunft von starren und überholten Vorurteilen lösen wollte. Dipl.-Ing. zog dafür die ausgezeichnete Wortschöpfung BilDUNG hinzu. Ich habe mich einfach gefragt: Schreibt der jetzt Dung oder ist das schon Scheisse? Wobei wir wieder bei der sogenannten klaren Sprache wären. Pikanterweise benützt Dipl.-Ing. zur Illustration seiner Kampfrede ein paar Bilder, der Widerspruch in sich störte offenbar nicht.

Der Arme weiss wohl einfach zu wenig über Rezeptionsverhalten und den Iconic Turn, Poltern ist mehr sein Dung. Irgendwie cool, wie einer es schafft, seinen Inserenten und Geldgebern der Druckbranche, also Bilderdruckern und Zulieferanten, straflos ans Bein zu pinkeln.

Ich persönlich kann ihm nicht verübeln, weder fernzusehen noch ins Kino zu gehen, bei allen Internetseiten die Blindenversion anzuwählen, auf MMS zu verzichten und eine Carl Zeiss mit Tubenbalg anzuwenden. Jedem das seine.

Auf keinen Fall werde ich hier öffentlich vermuten, es bestehe eine Verbindung zum Islam – wo die figürliche Darstellung in religiösen Schriften und Moscheen ebenfalls gänzlich verboten ist. Aber religiös war der Artikel des Häretikers auf jeden Fall, ich würde ihn einen ratzikalen Gegenreformator nennen. Und das exakt 489 Jahre nach dem Thesenanschlag Luthers an der Schlosskirche zu Wittgenstein. Oder so. Ein Schisma, eine Spaltung der Glaubensgemeinschaft der Jünger Gutenbergs! Hat doch Gutenberg um 1540 mit seinen Erfindungen der Druckerpresse und der beweglichen Bleilettern gerade der Reformation in die Hand gearbeitet. Ja gut, zuerst malte er die Intialbuchstaben aus und verzierte sie. Erst nach und nach fügten die Inkunabeldrucker Bilder ein. Vielleicht auch deshalb, weil die armen Leute damals nicht lesen konnten.

Nach all dem zeitgenössischen Fortschritt kommt nun der Dipl.-Ing. und ruft die bilderlose Welt aus. Ein neuer Bildersturm? Kommt diese Ikonophobie von seiner beachtlichen Leibesfülle, die er, wenn überhaupt, doch lieber in mageren Worten umschrieben denn in satten Bildern vorgeführt bekäme? Was wäre, wenn er beim nächsten Arzttermin statt eines Röntgenbildes eine 20-seitige pathologische Vermutung vorgesetzt bekäme? Er würde mit hängenden Ohren wimmern: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

Übrigens sind ohne Bilder auch keine Bildlegenden mehr nötig, was eine Menge Schreibarbeit erspart. Obwohl – so richtig überlegt – sind Legenden Türöffner und von der Funktion her ähnlich wichtig wie Titel. Die lassen wir doch auch gleich weg, und überhaupt, 10 Punkt Courier über die ganze Formatbreite, das sollte als Standard für alle Publikationen genügen. Dann brauchen wir auch keine Schriften mehr auszuwählen.

Weglassen hat im Design durchaus sein Gutes. So wurde ich kürzlich in der Wohnrevue auf eine Anzeige aufmerksam. Mitten in einem grosszügigen Designerraum wird da ein kreisrundes Lavabo Marke Phillippe Starck vorgestellt, welches auf einem hölzernen Sockel mit quadratischem Grundriss steht. Der Durchmesser des Lavabos entspricht der Kantenlänge des quadratischen Grundrisses. Aus eben dargelegten Gründen müssen Sie sich das Lavabo nun vorstellen, es geht wirklich gut ohne Bilder. Die Linsen kann man gerade noch ablegen, das Zahnbürsteli hat schon keinen Platz mehr, geschweige denn die diversen Döschen und Fläschchen meiner lieben Frau Gemahlin. Minimaldesign, äusserst praktisch. Wenn wir schon ohne Bilder leben können, lasst uns doch auch aufs Zahnbürsteli verzichten.

Neue Szene. Rechtschreibreform und Reform der Gegenreform. Sind denn eigentlich diese blöden Grossbuchstaben nie wegzukriegen? Die Engländer schreiben doch auch alles klein, sie mussten nur wegen der vielen Doppeldeutigkeiten der Sprache etwas mehr Humor entwickeln, der es ihnen erlaubt, das 17er-System beim Pfund, das 13er-System beim Inch und das 1-1-1-1-System bei den Royaltys zu erdulden. Ihre Majestät und Ihre Lordschaft sind natürlich gegen die Abschaffung von I, M und L. Die radikale Kleinschreibung wird sowieso durch die Handys eingeführt werden, eine Frage der Tastaturbelegung (Chinesen können auch nicht alles gross und klein piktografieren). Und nach Darwin ist es ganz natürlich, dass die schwächsten Buchstaben aussterben: J, Y, X und Z, wofür die ganze Altenpflege? Dafür kommt das @-Zeichen, der chinesische Yuan wird ™ und © ersetzen, da dort ohne Bedeutung, der Euro wird durch den Schweizer Franken geschluckt und so weiter und so fort wenn wir schon beim weglassen sind auch die interpunktionen braucht es nicht komma punkt semikolon doppelpunkt kann alles weggelassen werden ist nicht unbedingt nötig auch die Frage der getrennt- oder zusammenschreibung gibt eigentlichnurpro blemeaufschreibenwirdochalleszusammen. Z können wir durch ts ersetzen, genau so wie wir als progressive Sondertsugfahrer auch das ß wegrationalisiert haben. Wursteln wir zu den Wurtseln des Alphabets zurück. Die Phönitsir waren uns um Meilen, bezihungsweise Stöcke, Ellen, Füsse, wie auch immer, voraus. D schrbn hn Vkl und mn knns heut nch enttsiffrn.

Die Frage «Braucht es ein Bild, braucht es eine Legende, braucht es dies und das?» darf so eigentlich nicht gestellt werden. Viel eher müsste man fragen: Welchen Zusatznutzen, welche Aufwertung erfährt der Inhalt, wenn man dies oder jenes hinzufügt? Wir sollten den Inhalt maximieren, nicht minimieren! Aber mit dieser Ansicht stehe ich wohl im krassen Gegensatz zu den Minimalisten. Es lebe die Typodiversität.